Als ich 20 Jahre alt war, also 1998, wurde nach 16 Jahren CDU-Regierung Gerhard Schröder Deutscher Bundeskanzler. Für mich war das eine einschneidende politische Veränderung. Aus meiner persönlichen Sicht war das ein Zeichen, dass Veränderung möglich ist. Nach Schröder folgte Angela Merkel, und das war wieder der Beweis, dass Veränderungen und Wechsel zur politischen Geschichte dazu gehören. Ebenso dann der Wechsel zu Olaf Scholz. Aber auch wenn ich mit einzelnen politischen Wechseln nicht einverstanden war, war die grundlegende Zielrichtung der jeweiligen Regierungen mit demokratischen Werten und Demokratieverständnis vereinbar. Man kann Probleme und Herausforderungen unterschiedlich angehen und versuchen zu lösen, aber im Kern demokratisch handeln.
Wenn ich auf die anstehende Bundestagswahl blicke und auf das was gerade aktuell passiert, dann hat sich das geändert. Da wir davon ausgehen müssen, dass die CDU/CSU an einer Regierung der Bundesrepublik beteiligt sein wird, kann ich nicht mehr darauf vertrauen, dass die zukünftige Regierung sich demokratisch verhält und diese Demokratie schützt.
Unsere Demokratie ist ein sehr junge Demokratie. Und gerade die Deutsche Geschichte hat gezeigt, wie wichtig es ist, sie nicht nur zu leben, sondern ständig zu verteidigen.
Ich habe das erste Mal Angst vor einer Wahl. Mich hat bereits das Ergebnis der Europawahl letztes Jahr zutiefst schockiert. Aber die aktuellen Entwicklungen lassen mich zusätzlich schaudern. Und was mich dabei gerade richtig schockiert, ist die Erkenntnis, dass wir unsere Demokratie offensichtlich nicht nur vor der verfassungsfeindlichen Partei AfD verteidigen müssen, sondern auch vor demokratischen Parteien und zwar der CDU. Friedrich Merz hat Ende Januar ein Tabu gebrochen und damit allen in der CDU gezeigt, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD ja irgendwie begründet werden könne. Dies könnte ein Dammbruch bedeuten, der sich genau auf die politischen Ebenen auswirkt, in denen sich Entscheidungen direkt auf die Bürgerinnen und Bürger auswirken und könnte im Ergebnis über den Bundesrat das gesamte politische System verändern. Was mir zusätzlich Angst macht, das war nicht nur Merz. Den Anträgen haben viele Abgeordnete der CDU und der CSU ihre Zustimmung gegeben.
Die Schriftstellerin JAGODA MARINIĆ hat in Ihrer Kolumne im Stern vom 14.01.2024 geschrieben: „Es geht nicht um politische Empörung, es geht nicht um Moral, es geht im Moment um das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Es geht um die Ethik unseres Zusammenlebens, um die Verfassung.“ Es geht hier also nicht um mein Gefühl, meine Angst, sondern konkret um das politische System und darum geht es heute, ein Jahr nach dieser Kolumne noch viel mehr. JAGODA MARINIĆ stellte auch vor einem Jahr schon die Frage, was wir, die Mehrheitsgesellschaft inklusive der Menschen mit Einwanderungsgeschichte, tun können.
Und ihre Antwort ist so einfach, wie kompliziert: „Auf die Straße gehen, Abgeordneten schreiben, Verbündete suchen.“. Ich würde noch hinzufügen, werdet laut, sprecht mit Eurem Umfeld, mit den Kindern und Jugendlichen. Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass die Ampelkoalition, von der JAGODA MARINIĆ meinte, sie müsse ihre Arbeit machen, nicht nur zerbrochen ist, sondern eben sogar in einzelnen Teilen gegen die Verfassung arbeitet. Uns bleibt nichts anderes übrig, als laut und präsent einzufordern, die Demokratie zu schützen und wirksame Grenzen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Eben weil wir uns nicht darauf verlassen können, dass die Abgeordneten das tun. Es gehen gerade wieder Menschen für die Demokratie auf die Straße. Das ist einerseits beruhigend, andererseits resultiert das gerade daraus, dass sieben Monate nach der Europawahl unsere Demokratie offensichtlich nicht ausreichend geschützt ist und sogar Angriffen ausgesetzt ist. Und das wir sie sogar vor denen beschützen müssen, die wir als Verbündete und nicht als Gegner ausgemacht hatten.
Ich frage mich, ob es in Bezug auf die CDU jemals wirklich eine Brandmauer gegeben hat. Ich will und muss aber daran glauben, dass es nach wie vor einen demokratischen mehrheitlichen Konsens in diesem Land gibt. Die Brandmauer ist nicht gefallen, aber sie liegt nicht bei der vertrauensunwürdigen CDU. Die Brandmauer sind wir alle und wir müssen sie erhalten.
Patricia Hauto
Dieser Text entstand am 2. Februar 2025
1 thought on “Wir sind die Brandmauer!”
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