Farmsen-Berne vor fünfzig Jahren.
Im Dezember 1970 befasst sich der Berner Bote u.a. mit der Politik der sozialliberalen Koalition. Der Haushalt 1971 wird u.a. einen Schwerpunkt auf den Wohnbau legen. Es fehlen 800 000 Wohnungen. Drei FDP-Männer in der „politischen Wüste“ und die Gartenstadt Hamburg baut ihr erstes Hochhaus.
Im Dezember 1970 befasst sich der Berner Bote u.a. mit der Politik der sozialliberalen Koalition. Der Haushalt 1971 wird u.a. einen Schwerpunkt auf den Wohnbau legen. Es fehlen 800 000 Wohnungen. Drei FDP-Männer in der „politischen Wüste“ und die Gartenstadt Hamburg baut ihr erstes Hochhaus.
Zitate aus dem Berner Boten vom Dezember 1970
Bilanz (Seite 1)
Gut ein Jahr ist seit der Regierungsbildung nach den Bundestagswahlen im Septem-ber 1969 vergangen. Die Regierungs-parteien SPD und FDP haben trotz massiver Angriffe der Opposition und trotz der durch die drei Umfaller der FDP auf 6 Mandate verminderte Mehrheit jede Abstimmung im Bundestag gewonnen. Die entscheidende Landtagswahl in Hessen wurde von der FDP glänzend überstanden, so dass die sozialliberale Koalition in Bonn gestärkt in das zweite Regierungsjahr gehen kann.
Ein Vergleich mit der Regierungserklärung, die Bundeskanzler Willy Brandt am 28. Oktober 1969 vor dem Deutschen Bun-destag abgab, zeigt eine positive Bilanz für das erste Jahr. Die Kriegsopferrenten sind erhöht und dynamisiert. Der Pflichtbeitrag der Sozialrentner zur Krankenversiche-rung ist gestrichen. Das 3. Vermögensbildungsgesetz mit einer Verdoppelung des begünstigten Höchstbetrages (624.- DM) ist verabschiedet. Die Strafrechtsreform wurde energisch vorangetrieben. Der Bau von 100 000 Wohnungen wird jährlich mit öffentlichen Mitteln gefördert und der Betrag für Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung steigt von jetzt 3,2 Milliarden auf 10,3 Milliarden DM im Jahre 1974. Die Beratungen über das Städtebauförderungsgesetz, das u.a. die seit langem überfällige Reform des Boden-rechts einleitet, sind fast abgeschlossen, so dass die Verabschiedung des Gesetzes Anfang 1971 erfolgen kann.
In der Außenpolitik sind entscheidende Fortschritte durch die Unterzeichnung der Verträge mit Moskau und Warschau ge-macht worden. Die Aussöhnung mit dem Osten wird Wirklichkeit.
Die Preisstabilität wird im Zeichen einer sich beruhigenden Konjunktur wieder-gewonnen. Die Sicherung der Arbeits-plätze bleibt dabei aber das vordringliche Ziel dieser Regierung. Sie wird ihre Politik der inneren Reformen und der aktiven Friedenssicherung zum Wohle aller fortsetzen.
Für das kommende Weihnachtsfest und das neue Jahr wünsche ich Ihnen und Ihren Angehörigen Gesundheit und viel Freude und uns allen Frieden und sozialen Fortschritt. Ihr Heiner Widderich, MdBü
Der Bundestagsabgeordnete Ihres Wahlkreises, Alfons Pawelczyk, wird regelmäßig zu politischen Fragen Stellung nehmen:
Sein heutiges Thema: Gescheiterte Opposition (Seiten 6 und 7)
Die CDU/CSU hat die Regierungsverantwortung 1969 abgegeben müssen. 1970 verspielte sie die Chance sie in absehbarer Zeit zurückzugewinnen. Innerhalb eines Jahres, spätestens bis zur Landtagswahl in Hessen, sollte die SPD aus der Ver-antwortung vertrieben sein. Jedes Mittel war der Opposition recht, um zum Ziel zu gelangen. Wir wurden an Höhepunkte Adenauer’sche Wahlkämpfe erinnert. Ver-leumdungen wie -Ausverkauf des Vaterlandes, Inflationsmacher- kennzeichneten den Stil.
Der Bürger hat sich nicht irritieren lassen. Der Stimmenanteil für die Koalitions-regierung stieg, gemessen an der Bundes-tagswahl 1969, um 1,1 Prozentpunkte. Und das bereits nach einjähriger Regierungsverantwortung der SPD, die seit 1949 zum ersten Mal die Verantwortung für unseren Staat trägt.
Stimmenverluste wären durchaus verständlich gewesen. Denn jeder Bürger möchte schnell Ergebnisse der von ihm gewünschten Regierung. Um so mehr ist den Wählern für ihr verantwortungs-bewußtes Handeln zu danken. Sie spüren, dass die SPD aus den in 20 Jahren ein-gefahrenen Gleisen heraus will. Dazu bedarf es zunächst einer gründlichen Be-standsaufnahme. Die ersten Ergebnisse sind Bildungsbericht, Sozialbericht und Weißbuch. Der Haushaltsplan für 1971 gibt Auskunft über die Zielsetzung.
Beispiele:
Wesentliche Steigerung der Bildungsausgaben. Wenn nicht jedes Kind seinen Anlagen entsprechend ausgebildet wird, verliert unsere Wirtschaft ihre Konkurrenz-fähigkeit. Wenn nicht jedes Kind die gleichen Bildungschancen erhält, bekom-men wir nicht den unabhängigen Bürger, der imstande ist, unsere Gesellschaft zu gestalten. Daher brauchen wir Vorschulerziehung und Ganztagsschulen. Das kostet viel Geld. Heute zahlen wir für Bildung rund 20 Milliarden DM. 1980 müssen es 100 Milliarden DM sein. Die Ausgabensteigerungen sind sofort nötig, sonst verpassen wir den Anschluss. Wäh-rend wir nur etwa 3% des Bruttosozial-produkts für die Bildung aufwenden, ge-ben andere Staaten, wie Holland, Belgien und Italien bereits zwischen 5 und 8% ihres Bruttosozialprodukts aus.
Mehr Geld für den Wohnungsbau. Gegenwärtig fehlen in unserem Lande 800 000 Wohnungen. Der Fehlbedarf entstand vor allem durch den Abbau der Förderungs-beiträge für den sozialen Wohnungsbau durch die CDU. Ab 1960 hat sie den Betrag von 700 auf 150 Millionen DM jährlich abgebaut. Mehr als 300 000 mit öffentlichen Mitteln geförderte Wohnungen wurden dadurch weniger gebaut. Die Bundesre-gierung wird diese unsoziale Entwicklung beenden. 1971 gibt sie 1,1 Milliarden DM zur Förderung des Wohnungsbaus aus. Der Betrag wird bis 1974 verdreifacht. Das Ziel ist, so viele Wohnungen zu bauen, dass die Nachfrage befriedigt wird. Erst wenn es mehr Wohnungen gibt als Wohnungsuchende werden die Mietpreise stabil bleiben.
Unser Ziel ist es also die Infrastruktur zu verbessern und soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Das ist die Aufgabe, die uns die CDU/CSU nach zwanzigjähriger Regierungsverantwortung als Erbe hinterlassen hat. Zwar hat sie nach 1949 unsere Wirt-schaft in anerkennungswerter Weise wie-der aufgebaut, aber dabei die uns allen zugute kommenden Zukunftsinvestitionen vernachlässigt. Das zeigt sich heute im Bildungswesen. Das zeigt sich in der ungerechten Verteilung des von uns allen geschaffenen Volksvermögens. Das zeigt sich auch bei der inzwischen zu einem riesigen Problem gewordenen Verschmut-zung unserer Umwelt.
Die SPD/FDP-Koalition hat hier einen neuen Anfang gesetzt. Der Wähler wird 1973 entscheiden, ob es geschafft wurde, auf diesem Wege voranzukommen. Alle Ziele können jedoch in so kurzer Zeit nicht verwirklicht werden.
Anmerkung der Redaktion:
Alfons Pawelczyk (Jahrgang 1933)
1961 Eintritt in die SPD
1969-1980 Mitglied des Deutschen
Bundestages für den
Wahlkreis Wandsbek.
Dort tätig im Verteidigungs-
und Auswärtigen Ausschuss.
1980-1984 und 1986/87 Innensenator in
Hamburg
1982-1991 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft
Mitglied des Sicherheitsausschusses beim SPD Parteivorstand und Abrüstungs- und Verteidigungs-Experte der SPD.
Sozialliberale Koalition
Nach der Bundestagswahl vom 28. Sep-tember 1969 konstituierte sich erstmals in der damals 20-jährigen Geschichte der Bundesrepublik eine sozialliberale Koali-tion auf Bundesebene aus SPD und FDP.
Willy Brandt (SPD) wurde Bundeskanzler und Walter Scheel (FDP) Außenminister und Vizekanzler.
Ergebnis der Bundestagswahl vom 28. September 1969:
SPD (42,7%/224 Sitze), CDU/CSU (46,1 %/242 Sitze), FDP (5,8%/30 Sitze)
Landtagswahl in Hessen 1970
Die im Artikel genannte Hessenwahl vom 18. November 1970 ergab folgendes Er-gebnis:
SPD 45,9%, CDU 39,7%, FDP 10,1%. Da die FDP gegenüber der Landtagswahl von 1966 nur 0,3 Prozentpunkte verlor, wertete sie dieses als großen Erfolg und Bestätigung ihrer Beteiligung an der sozial-liberalen Koalition in Bonn.
In der politischen Wüste gelandet (Seiten 7 und 8)
Mende/Starke/Zoglmann – Männer ohne Zukunft
Für die früheren FDP-Abgeordneten Dr. Mende, Dr. Starke und Zoglmann ist das Ende ihrer politischen Laufbahn gekommen. Sofern sie mit ihrem Austritt aus der FDP ehrgeizige Pläne verfolgten, müssen sie diese wohl endgültig begraben. Das ist eine der erfreulichsten Aspekte des Wahlergebnisses von Hessen. Die hessische CDU-Führung hatte es schon nicht einmal mehr gewagt, Dr. Mende im Landtags-wahlkampf einzusetzen, sie hätte sonst größten Unmut in den eigenen Reihen heraufbeschworen. Das CDU-Mitgliedsbuch dieses Mannes erweist sich für die CDU eher als Belastung denn als Gewinn. Von Erich Mende strahlt kein Licht mehr aus, das andere erwärmen könnte. Eisige Ablehnung begegnet ihm von allen Seiten. Dieser ehrgeizige Mann brachte nach einer langen politischen Laufbahn, die ihm sogar auf den Sessel eines Vizekanzlers schob, das Kunststück fertig, die Zukunft recht schnell hinter sich zu bringen. Die Zeit, in der sein Name Schlagzeilen bewirkte, gehört der Vergangenheit an.
Dankbar kann die FDP nach ihrem überraschenden Hessen-Wahlerfolg auch den Herren Zoglmann und Dr. Starke sein. Was kann – nach Hessen! – noch aus Zogl-manns Plänen werden, eine rechts von der FDP stehende Partei zu gründen, als Hilfstruppe für die CDU/CSU? Er muss sie, will dieser allzu wendige Mann nicht ganz der Lächerlichkeit verfallen, wohl abschreiben. Das bisher für diese Gründung investierte Kapital einflußreicher Geldgeber trägt keine Zinsen, es ist schon heute ein Verlustgeschäft.
Siegfried Zoglmann, Dr. Mende und Dr. Starke hatten ihren Austritt aus der FDP mit einem „Auftrag der Wähler“ begründet – ein Argument, dessen Hohlheit die Wahlen in Hessen offenbarte. Sie gleichen Offizieren ohne Soldaten, sie landeten in der politischen Wüste, aus der es für sie keine Rückkehr mehr gibt. Die politische Land-schaft der Bundesrepublik kommt dabei bestimmt nich zu Schaden. Den Gewinn jedoch hat die sozialliberale Koalition in Bund und Ländern, die nun von Ballast befreit, sicher und ruhig ihren Weg gehen kann.
Anmerkung der Redaktion
Erich Mende (1916-1998)
FDP-Politiker
1949-1980 Mitglied des Deutschen
Bundestages.
1960-1968 Bundesvorsitzender der FDP.
1963-1966 Bundesminister für gesamt-
deutsche Fragen und Vizekanzler.
Als einfacher Bundestagsabgeordneter lehnte er die Neue Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition ab und verließ seine Partei und Fraktion 1970, trat zur CDU über und wurde für diese noch zweimal in den Bundestag gewählt.
Hochhaus der Gartenstadt bezogen (Seiten 12 – 16 Auszug)
In der Saseler Straße, Ecke Kriegkamp, hat das Gemeinnützige Wohnungsunterneh-men Gartenstadt Hamburg e.G.m.b.H. das erste Hochhaus in ihrer fünfzigjährigen Geschichte fertiggestellt. Unter großen Schwierigkeiten und bei starker Beläs-tigung durch den Baufortgang haben sich die ersten Mieter zum 1. Oktober 1970 zum Einzug entschließen müssen. Zu dem Zeitpunkt waren das erste bis sechste Geschoss bezugsfertig. Die Wohnungen im siebten bis zum elften Geschoss wurden am 1. Dezember 1970 bezogen. Der Einzugstermin für das Erdgeschoss ist auf den 15. Dezember 1970 festgelegt.
In der Saseler Straße, Ecke Kriegkamp, hat das Gemeinnützige Wohnungsunterneh-men Gartenstadt Hamburg e.G.m.b.H. das erste Hochhaus in ihrer fünfzigjährigen Geschichte fertiggestellt. Unter großen Schwierigkeiten und bei starker Beläs-tigung durch den Baufortgang haben sich die ersten Mieter zum 1. Oktober 1970 zum Einzug entschließen müssen. Zu dem Zeitpunkt waren das erste bis sechste Geschoss bezugsfertig. Die Wohnungen im siebten bis zum elften Geschoss wurden am 1. Dezember 1970 bezogen. Der Einzugstermin für das Erdgeschoss ist auf den 15. Dezember 1970 festgelegt.
In dem Hochhaus, das als sozialer Wohnungsbau gefördert ist, stehen je 36 Ein-, Zwei-, Drei- und Dreieinhalb-Zimmer-Wohnungen zur Verfügung. Für diese insgesamt 144 Wohnungen beträgt die Miete pro qm zur Zeit 3,59 DM. Jede Etagenwohnung hat eine sechs bis zehn qm große Loggia. Die Wohnungen im Erdgeschoss erhalten im Frühjahr 1971 einen Freisitzplatz vor dem Wohnzimmer.
Weihnachtliche Frage
Es geht das Jahr, es ist soweit,
Ihr singt die alten Lieder.
Das Land liegt dunkel und verschneit,
wie alle Jahre wieder.
Und Briefe werden Euch gebracht
mit liebevollen Grüßen.
Vielleicht weint auch in dieser Nacht
ein Kind mit bloßen Füßen.
Ihr, die Ihr vor dem Bäumchen steht,
was nützen alle Kerzen,
wenn Euch nicht selbst ein Licht aufgeht
da irgendwo im Herzen?
Ende der Zitate aus dem Berner Boten vom Dezember 1970
Heiner Widderich
Heiner Widderich