Auf den Tag genau 100 Tage nach der Bürgerschaftswahl vom 23. Februar haben die Hamburger SPD und die Grünen den neuen Koalitionsvertrag für die kommende Legislaturperiode vorgestellt, der Anfang Juni dann sowohl die Zustimmung der SPD als auch der Grünen erhalten hat. „Zuversichtlich, solidarisch, nachhaltig – Hamburgs Zukunft kraftvoll gestalten“ unter dieses Motto stellen beide Parteien ihre Regierungsarbeit der kommenden fünf Jahre.
Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) betonte bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages, dass zu den großen Zukunftsthemen der Stadt die Corona-Pandemie gekommen sei und diese die Koalitionsverhandlungen und den Blick auf die kommenden Jahre stark mitgeprägt hat. Das Ziel sei weiterhin, Hamburg als Zukunftsstadt zu gestalten und mit neuen Impulsen in die 20er Jahre zu führen. Dem Klimawandel müsse ebenso Rechnung getragen werden wie der wirtschaftlichen Stabilität und Verlässlichkeit, indem die erfolgreiche Arbeit des SPD-geführten Senates der letzten Legislaturperiode fortsetzt wird.
Als Schwerpunkte für Investitionen in der kommenden Legislaturperiode benannten die möglichen Koalitionspartner die Bereiche Verkehrsinfrastruktur, Klimaschutz und Bildung. Neben den genannten Schwerpunkten bleibt der Wohnungsbau, Investitionen in die Infrastruktur Hamburgs und eine Verbesserung des Angebots von Bus und Bahn mit dem Ziel eines Hamburg-Takts prioritäre Aufgaben.
Viele Themen in den Verhandlungen waren unstrittig und konnten einvernehmlich geklärt werden. Dies bezieht sich vor allem auf die Bereiche Finanzen, Arbeit, Soziales und Schulpolitik. In vielen Bereichen trägt der Koalitionsvertrag eine deutliche sozialdemokratische Handschrift. Im Bereich Finanzen soll ein eigenes Corona-Konjunkturprogramm für die Hansestadt aufgelegt werden. Geplant ist ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit einem Volumen von rund 1 Mrd. € .Dieser landeseigene Wirtschaftsstabilisierungsfonds gilt als Ergänzung zum Konjunkturprogramm des Bundes und soll sich auch auf kleinere und mittlere Betriebe konzentrieren. Diese sollen durch Kreditgarantien oder öffentliche Beteiligungen unterstützt werden. Dafür werde bis zum Herbst ein Sondervermögen aufgelegt. Auch einigten sich SPD und Grüne darauf, dass alle neuen Projekte aus den Verhandlungen unter Finanzierungsvorbehalt stehen.
Bildung und Digitalisierung
Bei dem Thema Bildungspolitik setzen SPD und Grüne auf eine verlässliche Weiterführung der guten Politik der Schulbehörde. Die wichtigste Botschaft für den Bereich der Hamburger Bildungspolitik ist, dass in den nächsten fünf Jahren keine Einsparungen erfolgen werden. Am Schulentwicklungsplan wird der Senat festhalten, und den Bau von 44 neuen und den Ausbau weiterer 100 Schulen wie angekündigt voranbringen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Digitalisierung der Bildung. Hier sollen weitere rund 125 Mio. € in die Hamburger Schullandschaft investiert werden. Die bisher 30 geförderten Schulen aus dem Hamburger Programm sollen noch einmal um zehn weitere Schulen aufgestockt werden. Außerdem sollen Grundschullehrer und -lehrerinnen wie geplant mehr Geld bekommen. Ziel ist es, dass Schulsystem noch leistungsfähiger und noch gerechter zu machen, damit nicht die Herkunft einer Schülerin oder eines Schülers über seine Bildungschancen entscheidet.
Mobilität
Mit wichtigen Infrastrukturentscheidungen wollen die zukünftigen Koalitionsparteien Hamburgs Wirtschaft stärken und den Ausbau des ÖPNV und die Mobilitätswende vorantreiben. So soll der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs mit finanzieller Beteiligung interessierter Bürger vorangetrieben werden. 250 bis 500 Mio. €. soll die Hamburger Hochbahn über Anleihen, sogenannte „Green Bonds“ einnehmen, um die Ausbaupläne zu realisieren. Bürgerinnen und Bürger, aber auch Investoren, hätten mit den „Green Bonds“ die Möglichkeit, ihr Geld zu festen Zinsen nachhaltig, sinnvoll und sicher anzulegen – und die Hochbahn könne ihren Ausbau finanzieren.
Im Bereich des Öffentlichen Nahverkehrs soll ein kostenloses HVV-Ticket für Schülerinnen und Schüler eingeführt werden. Ebenso wie ein günstiges „Jobstarter-Ticket“ für Auszubildende, ähnlich dem Semester-Ticket für Studierende. Weiterhin werden Vereinfachung und Veränderungen im HVV-Tarifsystem angestrebt. Beim Thema Verkehr gab es in den Verhandlungen auch einige Knackpunkte. Die Innenstadt wird nur in Teilen „autofrei“ oder „autoarm“, etwa am Jungfernstieg, darauf hat die SPD geachtet. Bei der zukünftigen Verkehrsgestaltung einigten sich die Koalitionspartner auf Sperrung des Jungfernstiegs für den motorisierten Individualverkehr, eine schrittweise Verlagerung der Buslinien von der Mönckebergstraße in die Steinstraße und eine individualverkehrsfreie Neugestaltung des Burchardplatzes. Inwieweit der Autoverkehr noch in den Großen Bleichen und auf dem Neuen Wall stattfinden wird, ist noch zu entscheiden. Alle Maßnahmen sollen aber mit den Geschäftsinhabern und Grundeigentümern sowie den Anwohnern diskutiert werden. Um Alternativen zum Autoverkehr zu erproben, soll es künftig pro Jahr einen Testversuch wie etwa „Ottensen macht Platz“ geben. Dabei soll es allerdings nicht nur um autofreie Zonen gehen. Stattdessen könnte es auch vermehrt sogenannte „Pop-up-Bike-Lanes“ geben. Dabei handelt es sich um kurzfristig hergestellte Radfahrspuren auf den Straßen, die eingerichtet werden, bis vorgesehene Baumaßnahmen beginnen.
Eine erfolgreiche Umsetzung einer neuen, modernen Mobilität, hängt auch davon ab, wie in den Ausbau des Radwegenetzes investiert wird. Nach dem in der letzten Legislaturperiode der Bau von 50 Kilometern Radwegen angestrebt waren, formulierten die Koalitionspartner für die kommende Legislatur das Ziel von 60 bis 80 Kilometern neuen Radwegen pro Jahr.
Fest steht, die A 26-Ost, die sogenannte Hafenpassage oder Hafenquerspange, wird gebaut, wie auch eine neue Köhlbrandquerung. Die A 26-Ost sorgt für eine wichtige Entlastung für den Verkehr im Hamburger Süden und eine verbesserte Anbindung der südlichen Hafenflächen. Die alte Köhlbrandbrücke soll aller Voraussicht nach durch einen Tunnel inklusive einer Innovationstrasse ersetzt werden.
Wirtschaft
Auch beim Thema Hafen und Wirtschaft ist deutlich die Handschrift der Hamburger Sozialdemokratie zu erkennen. Anders als von den Grünen gefordert, soll der Stadtteil Moorburg nicht aus dem Hafenentwicklungsgebiet genommen werden.
Die Koalitionspartner bekennen sich zum Industriestandort und wollen diesen stärken. Die Unternehmen der Mineralölverarbeitung, Metallerzeugung und Metallbearbeitung, Medizin-, IT- und Elektrotechnik, Fahrzeugbau sowie der Luftfahrt- und Schiffbauindustrie sind ein wichtiger Bestandteil der Hamburger Wirtschaft. Hamburg setzt auch in Zukunft auf große Industriebetriebe und wird ihnen gute Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen. Weiterhin wollen die Koalitionäre mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen gewährleisten, mit denen Arbeitsplätze gesichert und klimaschonende Innovationen gefördert werden. Dazu soll eine umfassende „Initiative Mittelstand Hamburg“ ins Leben gerufen werden, die gemeinsam mit dem Mittelstand Ideen und Konzepte für die großen standortpolitischen Zukunftsthemen Innovation, Digitalisierung und Klimaschutz entwickelt.
Anknüpfend an den erfolgreichen „Masterplan Handwerk 2020“ wird ein „Masterplan Handwerk 2030“ aufgelegt, um die Rahmenbedingungen für das Handwerk in Zeiten der Digitalisierung mittel- bis langfristig in der Stadt zu stärken und konkrete Maßnahmen zwischen Handwerkskammer und Senat zu vereinbaren.
Für den „Helmut-Schmidt-Flughafen Hamburg“ wurde vereinbart, die Betriebsregeln und -zeiten nicht zu verändern. Die Fluglärmbelastigung durch den Flughafen darf sich zukünftig nicht erhöhen und das C02-Budget von 2019 soll auch künftig nicht mehr überschritten werden. Zudem soll es eine C02-abhängige Komponente des Flughafenentgelts geben, mit dessen Einnahmen umweltfreundliche Kraftstoffe entwickelt werden sollen. Laut Vertrag soll es erst einmal „keine Maßnahmen zur Erweiterung der luftseitigen Kapazität des Flughafens“ geben.
Klimaschutz
Bei der Gestaltung des bisherigen Kohlekraftwerk Moorburg setzte sich die SPD mit einer bereits im Wahlkampf von Bürgermeister Peter Tschentscher propagierten Idee durch. Das Kraftwerk soll aus der Kohleverfeuerung aussteigen. Dahinter steht die Idee des Ersten Bürgermeisters die Hälfte des Kraftwerks abzuschalten und die andere Hälfte auf ein modernes Gas-und-Dampf-Kraftwerk umzurüsten und zugleich den Standort zu nutzen für grünen Wasserstoff. In diesen Umbau soll die Fernwärme integriert werden.
Im Bereich Klimaschutz einigte man sich darauf, dass Hamburg noch ehrgeiziger werden wolle als bisher. Hamburg soll zu einer Modellstadt für den Klimaschutz gemacht werden. Um das 1,5-Grad-Ziel von Paris zu erreichen, muss Hamburg deutlich vor 2050 klimaneutral werden.
Familie und Soziales
In der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Familienpolitik wollen die Koalitionäre weiterhin bezahlbaren Wohnraum schaffen, eine beitragsfreie Grundversorgung in der Kita anbieten und für gerechte Bildungschancen und einen kostenlosen Ganztag in der Schule sorgen sowie für Ausbildungsplätze und ein Studium ohne Gebühren. Wer Unterstützung braucht, bei der Arbeitssuche, als Familie oder bei der Wohnungssuche, als Kind in der Kita oder Schule, beim Spracherwerb, bei der Ausbildung oder Arbeitssuche soll diese bekommen. Inklusion verstehen die Parteien als gerechte und gleiche Teilhabe für alle, möglichst immer in allen Lebenslagen. Niemand sollte länger als nötig auf fremde Hilfe angewiesen sein, sondern das eigene Leben so eigenständig selbstbestimmt in die Hand nehmen können. Daher will der neue Senat auch weiterhin Armut nachhaltig bekämpfen.
Bezahlbares Wohnen
Die erfolgreiche Wohnungsbaupolitik wird fortgesetzt. Hamburg wird dabei auf Bestreben der SPD noch mehr öffentlich geförderten Wohnraum ermöglichen, insbesondere in zentralen und nachgefragten Lage ist ein 50 %-Anteil gewollt. Außerdem sollen die neuen „Hamburg-Wohnungen“ verstärkt gebaut werden, mit preisgedämpften Mieten ohne Bezugsschein. Dazu werden neue Formen des Bauens ermöglicht – in Serie, aus Holz und mit nachhaltigen Bauweisen. Und auch die soziale Infrastruktur soll mit der Stadt wachsen. Das betrifft insbesondere den wichtigen Schulbau, aber auch Seniorentreffs sowie Sportstätten.
Wissenschaft
In der Hochschulpolitik hatten sich beide Parteien für eine kräftige Steigerung der Hochschulfinanzierung ausgesprochen. Beide Parteien einigte sich darauf, dass die Hochschulen einen jährlichen Ausgleich für Tarifsteigerungen und Inflation von maximal zwei Prozent erhalten und zudem weitere Mittel für Neubauten und
Gebäudesanierung. Man einigte sich darauf, in den kommenden zwei Jahrzehnten 2,6 Mrd. € in den Hochschulbau zu investieren. Die Hochschulen erhalten dadurch zusätzliche Unterstützung und Planungssicherheit. Dieses Gesamtpaket entspricht in etwa einer jährlichen Steigerung von rund drei Prozent.
Kultur
Zudem soll in der Hansestadt ein modernes Naturkundemuseum entstehen. Dort soll unter anderem die naturkundliche Sammlung der Universität präsentiert werden.
Bei dem Thema Kultur haben sich die Koalitionsparteien darauf geeinigt, dass es in der aktuellen Situation zunächst darum geht die künstlerische und kulturelle Arbeit auch in Zukunft zu gewährleisten. Daher werde es keine Einsparungen bei den Theatern geben, die Modernisierung der Museen gehe weiter, und auch die Freie Szene solle neue Impulse bekommen.
Dabei will Kultursenator Carsten Brosda (SPD) den Impuls der Elbphilharmonie für die Kulturstadt Hamburg verstärken, indem die Förderinstrumente ausgebaut werden. Auch solle das „Haus der digitalen Welt“, also eine Kombination aus Zentralbibliothek, Volkshochschule und digitaler Kommunikation, umgesetzt werden. Realisiert werden soll auch die Konzerthalle am Diebsteich.
Sicherheit
In der Innenpolitik will man entschlossen den Kampf gegen Rechtsextremismus und -terrorismus fortzusetzen. Großes Gewicht soll zukünftig auch das Thema Kriminalität im Internet bekommen. Einig war man sich darüber, dass Polizei und Feuerwehr in Hamburg weiter gestärkt werden. Bereits laufende Personalaufbau-Programme werden fortgesetzt. Auch über die Errichtung neuer Feuer- und Rettungswachen war man sich einig.
Mit dem neuen Koalitionsvertrag ändern sich auch der Zuschnitt der Behörden und die Zusammensetzung des Senats. Die SPD steht auch weiterhin für Kontinuität und Verlässlichkeit. Neben Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher bleiben alle Senatsmitglieder an Bord. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks hatte bereits im Vorfeld bekannt gegeben, aus dem Amt zu scheiden. Ihre Behörde wird nun aufgeteilt, wobei der Bereich Gesundheit in die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration unter der Senatorin Dr. Melanie Leonhard (SPD) wechselt. Das Thema Verbraucherschutz wird der Justizbehörde zugeschlagen. Weiterhin entsteht eine neue „Behörde für Verkehr und Mobilitätswende“ unter grüner Führung.
Mit dem nun vorliegenden Koalitionsvertrag, der eine deutliche sozialdemokratische Handschrift trägt, zeigen die Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten deutlich, dass das Leben in Hamburg für alle bezahlbar bleibt, und sie auch weiterhin die ganze Stadt im Blick haben.
Lars Pochnicht