Am 25. März 2019 begeht die Gartenstadt Hamburg eG ihr 100jähriges Jubiläum. Vor genau 100 Jahren trafen sich Personen, die an einer Gartenstadt interessiert waren in St. Georg und beschlossen, eine Genossenschaft unter dem Namen „Gartenstadt Hamburg e.G.m.b.H.“ zu gründen.
Die Initiative hierzu ging von dem späteren Vorsitzenden des ersten Vorstandes Bruno Heyer aus, einem Buchhalter, der schon wenige Monate nach dem Ende des Ersten Weltkrieges im Januar 1919 eine Abhandlung über den Gartenstadtgedanken und die Wohnungsnot veröffentlicht hatte. Auf der Gründungsversammlung am 25. März 1919 beschließt man bei den Satzungsberatungen, dass die Genossenschaft „in gemeinnütziger Weise vorwiegend den minderbemittelten Bevölkerungsschichten dient“ und dass sie „die Beschaffung gesunder und zweckmäßig eingerichteter Wohnungen mit dazugehörigem Gartenland durch den Bau von Häusern“ zum Ziele hat. Am 22. April 1919 wird die Genossenschaft in das Genossenschaftsregister beim Amtsgericht Hamburg eingetragen. Am Ende des Jahres 1919 zählt die neugegründete Genossenschaft bereits 1073 Mitglieder.
Der Ursprung der Genossenschaften und damit auch der Wohnungsgenossenschaft Gartenstadt Hamburg liegt in den Errungenschaften der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert. Bei fortschreitender Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts geriet ein immer größer werdendes Heer von Lohnabhängigen durch Ausbeutung in immer größere existenzielle Not, einhergehend mit schlechten Wohnverhältnissen. Aus dieser Not heraus entstand eine große Arbeiterbewegung. Drei Säulen wurden geschaffen, um die Lage der Arbeiterschaft zu verbessern.
Zum einen gründete Ferdinand Lassalle am 23. Mai 1863 in Leipzig den „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ (ADAV). Das war die Geburtsstunde der SPD, die u.a. in den Parlamenten für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterschaft kämpfte.
Des weiteren wurden Gewerkschaften gegründet, um in den Fabriken und Betrieben höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, kürzere Arbeitszeit (10-Stunden-Tag) und später auch Urlaubsansprüche und Mitspracherechte der Arbeiter- schaft notfalls mit Streik zu erkämpfen.
Und schließlich entstanden auf vielen Gebieten Genossenschaften u.a. Darlehns- und Sparvereine/Banken mit Vergabe von Krediten mit niedrigen Zinsen, Konsumgenossenschaften zur Versorgung mit guten und preiswerten Nahrungsmitteln und Gütern für den täglichen Gebrauch sowie Wohnungsbaugenossenschaften für den Bau von kostengünstigen Wohnungen.
Heute gibt es nach dem Stand von 2013 in Deutschland über 2.000 Baugenossenschaften. Diese verwalten über zwei Millionen Wohnungen und haben mehr als drei Millionen Mitglieder.
Alle drei Säulen der Arbeiterbewegung waren wegen gleicher politischer Gesinnung häufig personell eng verzahnt und verfolgten ein großes gemeinsames Ziel: Die Verbesserung der Lebensbedingungen für ein Heer von Lohnabhängigen.
Als die Wohnungsbaugenossenschaft Gartenstadt Hamburg 1919 gegründet wurde, hatten die Väter dieser Genossenschaft genau die Not der Arbeiterschaft im Blick, die sich nach den Entbehrungen im 1. Weltkrieg und der großen Wohnungsnot nach bezahlbarem Wohnraum sehnten. Die Gründer aber wollten mehr. Sie wollten aus der Enge der Stadt, aus Kellerwohnungen und aus Hinterhöfen heraus und bessere Wohnbedingungen in einer Gartenstadtsiedlung, naturverbunden, in Sonne und Licht, schaffen.
In den Jahren von 1920 bis 1929 wird in Berne die Gartenstadtsiedlung mit insgesamt 550 Wohnungen gebaut. Die Schlusssteinlegung findet am 22. Oktober 1929 in der Lienaustraße 28/30 statt.
In den nächsten zwei Jahrzehnten danach haben die Gartenstadt Hamburg und ihre Mitglieder schwere Zeiten durchstehen müssen: Die hohe Arbeitslosigkeit von 1929-1932 und die Nazi-Diktatur von 1933-1945 mit Verfolgungen und Inhaftierungen von Sozialdemokraten und Kommunisten.
In den Jahren der Nazi-Herrschaft wurden lediglich 24 Altrentner-Wohnungen an der Kleinen Wiese und 11 Wohnungen im Neusurenland 68/70 gebaut und 1939 der Zusammenschluss mit der Bramfelder Genossenschaft vorgenommen mit 82 Wohnungen (Rotdornallee, Anderheitsallee, Berner Chaussee).
Der 2. Weltkrieg von 1939-1945 mit verheerenden Bombenangriffen hat auch Spuren in den Wohnanlagen der Genossenschaft in Berne und Bramfeld sowie eine große Wohnungsnot hinterlassen.
Aber immer wieder hat es Frauen und Männer gegeben, unter ihnen viele Sozialdemokraten, die die Kraft fanden, sich trotz ihrer persönlichen Nöte für den Fortbestand ihrer Wohnungsbaugenossenschaft einzusetzen.
So wurden zunächst die im Krieg zerstörten Häuser in Bramfeld und Berne wieder aufgebaut und in den Jahren 1950 bis zum 50jährigen Jubiläum im Jahre 1969 rund 800 neue Wohnungen errichtet: Berner Allee, Dreieckskoppel, Wohnungen und Ladenzeile am U-Bahnhof Berne, Kriegkamp, Birckholtzweg, Schulpfad, Ole Wisch, Buddenbrookweg, Wildschwanbrook, Neusurenland, Rotdornallee, Berner Chaussee und Fabriciusstraße.
In den nächsten 50 Jahren bis zum 100jährigen Jubiläum in diesem Jahr wurden über 600 Wohnungen in den Stadtteilen Berne, Bramfeld, Steilshoop, Jenfeld, Meiendorf und Volksdorf gebaut.
Seit jeher sorgten aber nicht nur die Gremien der Genossenschaft für das Wohlbefinden der Mitglieder durch die Versorgung mit Wohnraum und kulturellen Angeboten, sondern eine Vielzahl von Institutionen und Vereinen sowie spontane Zusammenschlüsse von Mitgliedern engagierten sich im Geiste des Genossenschaftsgedankens für kulturelle, politische, sportliche und nachbarschaftliche Veranstaltungen und förderten damit die Solidarität und ein Gemeinschaftsgefühl unter den Genossen.
Die SPD Berne ist seit der Gründung der Genossenschaft im Jahre1919 bis heute tief mit dem Geschehen in Berne und Umgebung verwurzelt, sei es durch ins Leben rufen von Vereinen wie den Kulturring mit Aufführungen des Altonaer Theaters oder durch eigene Veranstaltungen, wie den Tanz in den Mai, Inserentenball, Mitarbeiterfest, politische Versammlungen und Ausfahrten sowie die Herausgabe einer Stadtteilzeitung: Den Berner Boten.
Der Berner Bote wurde am 1. Nov. 1951 von der Berner SPD gegründet und hat seitdem nicht nur über Ereignisse in Berne berichtet, sondern häufig auch zu Berne betreffenden Ereignissen Stellung bezogen, wie zum Beispiel zur Schließung der Bücherhalle Berne, Schließung der Berner Schule und mehrfach zum geplanten Ausbau des Ring 3. Natürlich gab es auch Beiträge zur Gartenstadt Hamburg. So wurden 22 Sonderseiten zum 50jährigen Jubiläum der Genossenschaft im Jahre 1969 und eine Sonderseite zum 50jährigen Jubiläum der Ladenzeile am Berner Bahnhof im Jahre 2004 herausgebracht. Zu dem haben viele Berner Vereine und Institutionen feste Rubriken im Berner Boten, um ihre monatlichen Veranstaltungshinweise publik zu machen.
In der 100jährigen Geschichte der Gartenstadt Hamburg gab es aber neben den politischen Ereignissen auch interne Auseinandersetzungen.
Privatisierungsversuch
1926 als rund 300 von damals 570 geplanten Wohnungen gebaut und bezogen waren, wollten die mit Wohnraum versorgten Mitglieder auf einer Mitgliederversammlung erreichen, dass sie ihre Wohnungen als Eigentum erwerben konnten. Das hätte das Ende der Genossenschaft bedeutet und alle unversorgten Mitglieder wären leer ausgegangen. Dieses eigennützige Ansinnen der Privatisierung wurde nach heftigen Auseinandersetzungen mit Mehrheit in der Mitgliederversammlung abgelehnt.
Ring 3
1972 wurde bekannt, dass die Stadt den Ring 3 von Sasel kommend durch die Berner Siedlung, und zwar durch den Straßenzug Beim Farenland – Karlshöher Weg bis zur Berner Brücke führen wollte. Das bedeutete bei einem vierspurigen Ausbau, dass eine Breite entstand, die nicht ohne Abriss von Häusern der Siedlung (Putzbauten) zu erreichen war. Das war der Anlass von Vorstand und Aufsichtsrat sich Gedanken über die Zukunft der Berner Siedlung zu machen und die Bausubstanz der Putzbauten begutachten zu lassen. Das Gutachten hat ergeben, dass die Putzbauten nur noch eine Lebenserwartung von 8-15 Jahren hätten, wenn keine erheblichen Investitionen erfolgen würden. Vorstand und Aufsichtsrat waren der Meinung, dass erhebliche Investitionen bei der Bausubstanz der Putzbauten im Interesse der gesamten Genossenschaft nicht vertretbar wären. Eine Mitgliederinitiative bildete sich und forderte in der Mitgliederversammlung im Jahre 1973 Alternativen, die einen Erhalt aller Häuser sicherstellen sollten. Eine Teilmitglieder- versammlung wurde im Herbst 1973 für die Siedlung Berne anberaumt. Ergebnis war, dass sich Vorstand, Aufsichtsrat und Mitglieder darin einig waren, dass der nächsten Mitgliederversammlung im Jahre 1974 ein Vorschlag vorgelegt wird, der vorsah, dass das Gutachten nicht weiter verfolgt und ein Instandsetzungsplan erarbeitet wird. So geschah es und die Häuser wurden nach und nach saniert. Die Kosten hierfür wurden durch die Erhöhung der Nutzungsgebühren gedeckt.
Durch sachliche Diskussionen zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Mitgliedern, in einem gegründeten Beirat, in einer Teilmitgliederversammlung und durch einen abschließenden Beschluss in der Mitgliederversammlung am 6. Juni 1974 wurde ein Ergebnis erreicht, dass alle befriedigte und bewies, dass durch solidarisches Verhalten aller Beteiligten ein Konflikt im Sinne der Genossenschaftsideale gelöst werden kann.
Denkmalschutz
Seit Mai 2013 steht die Berner Gartenstadtsiedlung unter Denkmalschutz. Vorher gab es langwierige Gespräche mit dem Denkmalschutzamt und anderen behördlichen Stellen, um die Auswirkungen des Denkmalschutzes für die Genossenschaft zu klären. Dabei ging es immer um die verbleibenden Gestaltungsmöglichkeiten und um die Verpflichtungen, die mit dem Denkmalschutz verbunden sein würden und auch um die zukünftige Handlungsfähigkeit der Genossenschaft. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag wurde mit dem Denkmalschutzamt geschlossen, der den allergrößten Teil (94 %) der Siedlung unter Denkmalschutz stellt, lediglich die sogenannte Dreiecksfläche (Meiendorfer Stieg 1-19 und Berner Heerweg 466-496) wurde davon ausgenommen.
Eine Gruppe von Mitgliedern fand sich zusammen, die sich gegen die Nichtberücksichtigung der Dreiecksfläche beim Denkmalschutz aussprach.
Es ergab sich ein Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Nichtberücksichtigung der Dreiecksfläche, der zu einer Entsolidarisierung zwischen den Genossen führte.
Dieser Konflikt dauert bis heute an und trotz aller Bemühungen des Vorstandes, der in vielen Gesprächen die Gründe seines Handelns erläuterte, ist ein Ende nicht abzusehen. Da bleibt nur der Hinweis, dass auch in einer Genossenschaft die Regeln der Demokratie gelten: Die Mehrheit entscheidet nach Diskussion und Austausch von Argumenten.
Einige besorgte Mitglieder haben daher im August 2016 den Verein „Zukunft Gartenstadt Hamburg“ gegründet, der sich zum Ziel gemacht hat, die Gemeinschaft in allen Wohnquartieren der Genossenschaft zu stärken und zu fördern sowie eine soziale Wohnungs- und Nutzungsgebührenpolitik zu unterstützen.
Diese drei Beispiele (Privatisierung/Ring 3/Denkmalschutz) zeigen, dass in 100 Jahren Genossenschaft Gartenstadt Hamburg nicht immer alles rund gelaufen ist, aber auch, dass es immer Lösungen für anstehende Probleme gibt, wenn man sich der Verantwortung für seine Genossenschaft bewußt ist. Insofern ist zu hoffen, dass auch der zuletzt beschriebene Konflikt fair ausgetragen wird und bald ein Ende findet.
Der Berner Bote und sein Herausgeber (SPD Distrikt Berne) gratulieren der Jubilarin recht herzlich zum 100jährigen Bestehen der Gartenstadt Hamburg und wünschen ihr für die Zukunft weiterhin Erfolg in ihrem Bestreben die vorhandene Wohnungsknappheit durch den Bau zeitgerechter und bezahlbarer Wohnungen zu lindern.
Dazu braucht es engagierte Mitglieder, gute Vertreter und zupackende Mitglieder in Aufsichtsrat und Vorstand, auch wenn es schwer ist, die Tradition einer Wohnungsbaugenossenschaft in heutiger Zeit hochzuhalten. Schwächere, Gleichgesinnte schließen sich nicht mehr zusammen, um solidarisch für sich und andere preisgünstigen Wohnraum zu schaffen und zu bewohnen. Dennoch ist – bei allem Egoismus des Einzelnen – erstrebenswert, dass Genossenschaften gerade jetzt in der Wohnungswirtschaft existieren, um gegen Mietpreistreiberei eine Vielzahl von Wohnungen zu errichten, um vielen Menschen guten Wohnraum zu erschwinglichen Preisen anzubieten und ihnen ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln. Dazu ist es aber auch erforderlich, dass die Gartenstadt Hamburg nicht nachlässt, Modernisierungen wie Ole Wisch, Neubauten wie Berner Chaussee 13, Instandhaltungen wie die der Siedlungshäuser unter Beachtung des Denkmalschutzes, die Entwicklung wie die der Dreiecksfläche voranzutreiben, um die Zukunft der Gartenstadt zu sichern und um dem Auftrag gerecht zu werden, eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung für die Mitglieder zu schaffen.
Heiner Widderich
Foto (oben): Gartenstadtsiedlung Hamburg-Berne, Baubeginn 1920-1921; Sammlung Gartenstadt Hamburg eG