Zitate aus dem Berner Boten vom Januar 1969
Trauer um Papandreou (Seite 3)
Demonstrationen gegen das Militärregime
800 000 Menschen, die Hälfte der Einwohner von Athen und Piräus, gaben dem ehemaligen griechischen Ministerpräsidenten Georg Papandreou das letzte Geleit. Es kam dabei zu schweren Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten.
Die meist jungen Demonstranten hatten die Beisetzungsfeierlichkeiten zum Anlass genommen, der Welt zu zeigen, wie die griechischen Verhältnisse wirklich sind. Die Rufe „Nieder mit den Faschisten!“ und „Papandreou, du bist unser Ministerpräsident!“ zeigten, welche Farce der Volksentscheid über die Verfassung gewesen ist.
Die Menge, die Athens Straßen säumte, um den Trauerzug zu sehen, sang die griechische Nationalhymne. Die griechische Opposition verlor mit dem 80 Jahre alten Papandreou einen ihrer profiliertesten Führer. Die Junta hatte die Geschmacklosigkeit besessen, nach dem Tod des greisen Politikers, der sein Leben lang gegen Diktatur und für Freiheit in seinem Lande gekämpft hatte, ein Staatsbegräbnis anzuordnen.
Andreas Papandreou, der in schwedischem Exil lebende Sohn des Politikers, hatte dieses Ansinnen als Beleidigung seiner Familie bezeichnet. Die Militärs, die das letzte Geleit für den Vorsitzenden der größten griechischen Partei unter ihren „totalitären Griff“ bekommen wollten, gaben nach.
Sie wollten Demonstrationen vermeiden, doch hallten schon in der Kirche, in der Papandreou aufgebahrt lag, und später an den von Hunderttausenden gesäumten Straßen so oft der Ruf „Mörder“, dass die wirklichen Verhältnisse im klassischen Land der Demokratie nicht mehr übersehen werden konnten.
Anmerkung der Redaktion:
Georg Papandreou (1888-1968)
Ministerpräsident von Griechenland
1944-1945 und 1964-1965.
1961 gründete Papandreou die Zentrumsunion (EK). Im November 1963 und im Februar 1964 gewann die EK die Parlamentswahlen, Papandreou wurde Premierminister. Mehrere instabile Regierungen folgten. Deshalb forderte Papandreou, dass im Mai 1967 Neuwahlen durchgeführt werden sollten. Um den von ihr befürchteten Wahlsieg Papandreous zu verhindern, putschte das Militär am 21. April 1967 und übernahm die Macht im Staate. Papandreou wurde verhaftet, unter Hausarrest gestellt, wo er am 1. November 1968 verstarb. Seine Beisetzung, an der 800 000 Menschen in Athen teilnahmen, wurde zur Massendemonstration gegen die Diktatur. Die Militärdiktatur dauerte bis 1974.
Warum bin ich Sozialdemokrat? (Auszug Seite 7)
An der Wiege ist es mir nicht gesungen worden, dass ich einmal Sozialdemokrat sein würde. In der Weimarer Republik schloss ich mich 1920 der sozialliberalen Deutschen Demokratischen Studentengruppe an. Um 1930 wurde ich Mitglied des Christlichsozialen Volksdienstes, einer kleinen evangelischen Gruppe. Wir brachten viel Idealismus mit, aber guter Wille und Einsatz vermochten die braune Flut nicht aufzuhalten, die Deutschland 1933 verschlang.
Dass Hitler und seine Anhänger die Macht ergreifen konnten, war für mich ein schwerer Schock. Bei der Reichstagswahl im März 1933 gab ich meine Stimme der SPD, weil ich nur ihr noch einen Widerstand gegen Hitler zutraute.
Als Deutschland nach 1945 die Chance erhielt, demokratisches politisches Leben zu entwickeln, gab es für mich kein Zögern. Einmal ging es darum zu verhindern, dass die Aufteilung Deutschlands in Besatzungsgebiete auch zur politischen Spaltung unserer Nation führte. Zum anderen musste dafür gesorgt werden, dass sich diesmal in Deutschland – anders als nach 1918 – eine lebenskräftige Demokratie entwickelte.
In der ersten Regierung der Bundesrepublik wurde ich Bundesinnenminister. Aber Adenauer konnte nicht damit rechnen, dass ich einen Kurs mitmachen würde, den ich als verhängnisvoll erkannte, die Wiederbewaffnung. Deshalb trat ich 1950 aus der Regierung und zwei Jahre später auch aus der CDU aus und versuchte in der „Notgemeinschaft für den Frieden Europas“ und in der „Gesamtdeutschen Volkspartei“ das Bewusstsein unserer Bevölkerung dafür zu schärfen, dass nicht eine Politik vermeintlicher Stärke, sondern nur umgekehrt eine Strategie des Friedens und der Entspannung zur friedlichen deutschen Wiedervereinigung führen könne. 1957 löste sich die Gesamtdeutsche Volkspartei auf und ich wurde Mitglied der SPD.
Außenstehenden mochte dieser Schritt überraschend erscheinen. Tatsächlich war er es nicht. Die SPD war in diesen Jahren eine Volkspartei geworden, in der Angehörige aller sozialen Schichten und aller Konfessionen um der Erreichung politischer Ziele willen zusammenarbeiteten. Sie hatte klargestellt, dass sie – wie es knapp zwei Jahre später im Godesberger Programm heißen sollte – keine letzten Wahrheiten zu verkünden hat, sondern die Glaubensentscheidungen des menschlichen Gewissens achtet.
Mit alle dem waren die Voraussetzungen für meinen Eintritt in die SPD gegeben. Schon damals war erkennbar, was heute jeder sehen kann: Die SPD ist die einzige deutsche Partei, die in der Lage ist, der politische Entwicklung in der Bundesrepublik fortschrittliche Impulse zu geben. Das gilt insbesondere für die Außen- und Deutschlandpolitik. Durch die konsequente Friedenspolitik versucht die SPD, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass eines Tages die beiden Teile Deutschlands auf friedlichem Wege wiedervereinigt werden können.
Die SPD nimmt, was für uns alle sehr wichtig ist, Verfassung und Recht so ernst, wie es sich für den demokratischen Rechtsstaat gehört.
Als Bundesjustizminister ist es jetzt meine besondere Aufgabe, durch Reformen für die zeitgemäße Anpassung des Rechts an die gesellschaftliche Entwicklung zu sorgen.
So war es ein langer Weg, der mich zur SPD geführt hat. Noch ist viel zu tun, damit die Bürger der Bundesrepublik Deutschland in einem wahrhaft freiheitlichen und wahrhaft sozialen demokratischen Rechtsstaat leben können.
Ihr Gustav Heinemann
Anmerkung der Redaktion:
Gustav Heinemann (1899-1976)
Nach dem Zweiten Weltkrieg war er Mitbegründer der CDU.
1949-1950 Bundesinnenminister unter Adenauer.
1952 trat er wegen der Pläne zur Wiederbewaffnung Deutschlands aus der CDU aus und gründete die „Gesamtdeutsche Volkspartei“ GVP.
Als die GVP sich 1957 auflöste, schloss er sich der SPD an.
1966-1969 Bundesjustizminister in der Großen Koalition unter Kiesinger/Brandt
1969-1974 Dritter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland
Aus der Bezirksversammlung (Auszug Seite 28)
Neuer Fußgängerüberweg Berner Allee?
Immer wieder beklagen die Berner bei mir die „Rennbahn“ auf der Berner Allee. Immer wieder fordern sie einen gesicherten Überweg auf Höhe des Kinos. Bisher ist immer noch nichts geschehen, wird gerügt. Warum nicht?
Ja, warum nicht? Die Lösung ist einfach. Weil niemand einem solchen Plan guten Gewissens bisher näher getreten ist. Ein Zebrastreifen in der Kurve würde nur eine scheinbare Sicherheit schaffen. Er würde besonders Kindern und alten Mitbürgern eine Sicherheit vorgaukeln, die niemand garantieren kann. Deshalb sollten wir lieber den Zustand so lassen, wie er bisher ist. Wer hier heute über die Straße geht, weiß, dass er die Fahrbahn betritt. Er vertraut auf keine Sicherheit und auf kein Vorrecht.
Dass sollten speziell Kinder und ältere Mitbürger wissen. Besonders aber die Kinder, weil Ende Januar im inzwischen renovierten Schloss ein Kindertagesheim eröffnet wird und die Kinder verstärkt den Park aufsuchen werden. Selbstverständlich sollte es hierbei sein, dass selbst bei berufstätigen Eltern der Vater oder die Mutter ihr Kind hinbringen und wieder abholen.
Walter Krug, Bez.-Abgeordneter
Anmerkung der Redaktion:
Gemeint ist die Kurve der Berner Allee Ecke Saselheider Weg. 1969 war im Volkshaus, Saselheider Weg 6, u.a. noch ein Kino untergebracht. Heute ist an der beschriebenen Stelle schon seit langem ein Zebrastreifen und eine Tempo-30 km-Zone u.a. auch wegen der Schule.
Der Autor, Walter Krug (SPD), Mitbegründer des Berner Boten im Jahre 1951, wurde erstmals 1966 in die Bezirksversammlung Wandsbek gewählt. Beruflich war er Redakteur bei der Hamburger Morgenpost.
Ende der Zitate aus dem Berner Boten vom Januar 1969
Heiner Widderich