Zitate aus dem Berner Boten vom Oktober 1968
Berner Schloss wird Kindertagesheim (Auszug Seite 1)
Mit dem Ansteigen der Berner Bevölkerung wuchs der Mangel an Plätzen für Kinder, die tagsüber nicht in der eigenen Familie versorgt werden können. Meist ist die Berufstätigkeit der Mutter wohl überlegt und begründet. Aber immer dann, wenn die Mutter allein steht, wird es notwendig, einen Tagesheimplatz für ihr Kind zu finden.
So kam es, dass das Kindertagesheim Berner Allee – als Übergangslösung seinerzeit in einer Baracke im Berner Park untergebracht – mit seinen 75 Plätzen bald „aus allen Nähten platzte“. Was lag näher, als die Auslastung des Berner Schlosses, das zuletzt als Ledigenwohnheim genutzt wurde, genau zu beobachten und Konsequenzen aus der rückläufigen Entwicklung zu ziehen? Der vorhandene gute Wille ließ in wenigen Monaten eine anderweitige Unterbringung für die betroffenen jungen Menschen finden. In verhältnismäßig kurzer Zeit gelang es der Jugendbehörde, die Haushaltsmittel zum Umbau in ein großes Kindertagesheim einzuwerben. Das ging zwar nicht auf einen Streich, aber für 1969 ist die Restsumme gesichert. Im Februar 1968 wurde mit den Arbeiten begonnen. Zur Zeit läuft die Umgestaltung des Schlosses auf vollen Touren. Nach der Fertigstellung wird das Kindertagesheim im Schloss Berne über 159 Plätze verfügen. Jeder Gruppe (10-25 Kinder) stehen zwei Gruppenräume, ein Wasch- und Toilettenraum sowie eine getrennte Garderobe zu. Dass die Räume kindgemäß und wohnlich eingerichtet werden, dafür sorgt die erfahrene Heimleiterin, Frau Steenfatt.
Die Kinder werden sich ganz sicher wohlfühlen. Davon werden sich die Mütter schnell überzeugen können. Sie sollen ja auch die Gewissheit haben, dass ihr Kindertagesheim eine familienergänzende Einrichtung ist sowie ihnen Stütze und Ratgeber bei der Erziehung sein will und darüber hinaus ihr Kind gut versorgt.
Tagesheimbaracke wird Altenwerkstatt
Die freiwerdende Baracke soll künftig als Altenwerkstatt genutzt werden. Hier werden ältere Menschen nach Herzenslust handwerkeln können.
Neuer Kindergarten im Jugendheim Berne
Auch im linken Teil des Jugendheimes Berner Allee (neben dem Sportplatz) sind die Handwerker „heftig in Gange“. Hier hat die Jugendbehörde Räumlichkeiten der Arbeiterwohlfahrt zur Einrichtung eines zusätzlichen Kindergartens überlassen. Die künftige Heimleiterin, eine Berner Kindergärtnerin, hofft, Ende Oktober ihre kleinen Gäste im Alter von 3-6 Jahren begrüßen zu können. Etwa 40 Kinder werden hier in zwei Gruppen vormittags betreut.
Mit dieser Einrichtung tut Berne einen großen Schritt nach vorn: Dem Wohle der Kinder dienen nun das Tagesheim im Berner Schloss mit der Ganztags- und der Kindergarten im Jugendheim mit der Halbtagsunterbringung. K.K.
Anmerkung der Redaktion:
K.K. = Konrad Koschek (Jahrgang 1921), Verfasser des oben in Auszügen wiedergegebenen Artikels war als Beamter in der Hamburger Jugendbehörde zuständig für die Heimaufsicht. Er wohnte in Berne im Röhlstieg und war ehrenamtlich im Aufsichtsrat der Wohnungsgenossenschaft Gartenstadt Hamburg und im Vorstand der Berner SPD tätig. Außerdem gründete er 1973 den Tanzkreis Berner Au und unterrichtete zusammen mit seiner Frau Esther an vier Abenden in der Woche Standard-, Latein- und Modetänze.
Das Kindertagesheim bestand von 1969 bis 1999 im Berner Schloss und zog dann zum Heuortsland um, wo es sich auch heute noch befindet.
Der Kindergarten der Arbeiterwohlfahrt „Sonnenhügel“ im Jugendheim, Berner Allee 66, ist auch heute noch dort beheimatet. Die erste Leiterin war die Bernerin Elke Witt, die Mutter des jetzigen geschäftsführenden Vorstandsmitgliedes der Genossenschaft Gartenstadt Hamburg, Sönke Witt.
Tschechoslowakisches Drama
Von Bundesminister Herbert Wehner (SPD) (Auszug Seiten 8-10)
Das tschechoslowakische Drama ist mehr als ein Konflikt, der sich im Rahmen des kommunistischen Lagers abspielt und dem andere, die diesem Lager nicht zugehören, zwar gespannt und mit menschlicher Anteilnahme zusehen können, dem gegenüber sie aber lediglich mit gespaltenen Gefühlen dafür zu sorgen haben, dass nicht sie selbst in diesen Konflikt einbezogen oder durch ihn betroffen werden. Was in der CSSR vor sich geht, ist zweifellos der Versuch eines Volkes, das eigene Leben so leben zu wollen, wie es durch eigenen Fleiß und bei wechselseitiger Achtung der Meinung von Andersdenkenden möglich ist. Dieser Versuch ist an die stählernen Tatsachen der Zugehörigkeit des Landes an den Warschauer Pakt gestoßen, dessen Hauptmacht, die UdSSR, gefolgt von den vier Paktmitgliedern Polen, Ungarn, Bulgarien und DDR, den Mitgliedstaat CSSR zunehmend unter Druck gesetzt und schließlich militärisch besetzt haben, um die CSSR zu zwingen, im eigenen Lande nur das Maß von Bewegungsfreiheit und Äußerungsfreiheit zuzulassen, das den anderen Paktmitgliedern angemessen erscheint.
Für die kommunistischen Parteien, deren eine, die KPC, in den Brennpunkt eines Dramas geraten ist, während andere, die KPdSU und die entsprechenden Parteien in den an der Okkupation teilnehmenden Ländern, ihre „Bruderpartei“ militärisch auf den von ihnen vorgeschriebenen Weg zu zwingen versuchen, bedeutet das tschechoslowakische Drama eine neue Quelle schwerster Auseinandersetzungen.
Sie werden in den meisten Ländern der Welt mehr oder weniger spürbare politische Beben hervorrufen.
Die rechtmäßigen, die legitimen Organe der CSSR haben unter Umständen, die beispiellos sind, äußerste Anstrengungen gemacht, um das eigene Volk nicht unter den Panzern der Okkupanten zermalmen zu lassen. Das Volk der CSSR hat ein unvergängliches Beispiel dafür gegeben, was ein Volk selbst unter widrigsten und so gut wie aussichtslosen Umständen ausrichten kann, wenn es sich seiner Lage bewußt ist und als Nation handelt. Dafür verdient das Volk der CSSR höchsten Respekt. Ein Volk, das so für seine Rechte eintritt, dient damit der ganzen Menschheit.
Anmerkung der Redaktion:
Die tschechoslowakische kommunistische Partei (KPC) strebte im Frühjahr 1968 unter dem Parteisekretär Alexander Dubcek an, ein Liberalisierungs- und Demokratisierungsprogramm durchzusetzen. Dieser Prozess ist auch bekannt als der sogenannte „Prager Frühling“, in dem versucht wurde, einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen.
Dieser Versuch wurde durch einmarschierende Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968 gewaltsam niedergeschlagen.
CSSR = Tschechoslowakische Sozialistische Republik
Herbert Wehner (1906-1990) Eintritt in die SPD 1946.
Direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Harburg von 1949-1983. Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen von 1966-1969 in der ersten Großen Koalition. Anschlie-ßend Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion von 1969-1983.
Ende der Zitate aus dem Berner Boten vom Oktober 1968
Heiner Widderich