Ende November war es soweit: Der 177-seitige Koalitionsvertrag, der das Regierungsprogramm für die kommenden vier Jahre darstellt, ist von SPD, Grünen und der FDP unterschrieben worden.
Unter der an Willy Brand („Mehr Demokratie wagen“) erinnernden Überschrift „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ möchte die erste Ampelkoalition der Bundesrepublik die notwendige Modernisierung unseres Landes vorantreiben.
In dem in wenigen Wochen ausgehandelten Koalitions-vertrag versprechen die Ampel-Parteien u. a. große Anstrengungen beim Klimaschutz, so ist das Ziel einer klimaneutralen Industrie beschrieben. Weiter sind Verbesserungen für Geringverdiener, Mieterinnen und Mieter sowie für Familien vorgesehen, Pflegekräfte sollen wegen der besonderen Belastungen in der Corona-Krise einen weiteren Bonus bekommen. Die von Olaf Scholz geführte Bundesregierung wird dafür 1 Mrd. € bereit-stellen. Und bereits vor Amts-antritt wurde ein gemeinsamer Krisenstab der Bundesregierung eingesetzt, der die gesamtgesellschaftliche Bekämpfung der Corona-Pandemie besser zu koordinieren.
Welche weiteren Themen will die neue Regierung auf den Weg bringen?
Die Ampelkoalition will die ökonomische Entwicklung und ökologische Verantwortung zusammen denken. SPD, Grüne und FDP wollen erneuerbare Energien ausbauen und die Kohleverstromung möglichst schon bis 2030 ein Ende beenden. Dafür soll zum Ende des Jahrzehnts 80 Prozent des Bruttostrombedarfs von 680-750 Terrawattstunden in Deutschland aus erneuerbaren Energien stammen. Die Re-gierungsparteien wollen neues Tempo in die Energiewende bringen, indem zusätzliche Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus dem Weg geräumt werden. Ab 2030 sollen vor allem Solaranlagen, große und kleine Windparks dafür sorgen, dass Private und Unternehmen mit Strom versorgt werden. Kommunen, die Flächen für Windenergieanlagen und größere Solaranlagen bereitstellen, sollen „angemessen“ finanziell profitieren. Für die Menschen dort vor Ort heißt das, es gibt mehr Geld für Schulsanierungen, Straßeninstandhaltung, den Umbau des Marktplatzes oder andere regionale Vorhaben.
Damit die Kosten für den starken Ausbau der erneuerbaren Energien die Bürger nicht an anderer Stelle treffen, soll ab 2023 die EEG-Umlage entfallen. Die Koalitionäre planen, die Energiewende stattdessen über den Energie- und Klimafonds zu finanzieren, der aus den Einnahmen der Emissionshandelssysteme und einem Zuschuss aus dem Bundeshaushalt gespeist wird.
Außerdem will die Koalition die Transformation des Automobilsektors vorantreiben. Ziel sind mindestens 15 Mio. vollelektrische PKW bis 2030. Den Boom der E-Autos wird wahrscheinlich nicht nur die angekündigte Vervielfachung der Ladesäulen vorantreiben, sondern es dürften finanzielle Anreize kommen, wie etwa Wechsel- oder Abwrackprämie für Käuferinnen und Käufer. Darüber hinaus wird angekündigt in die Wasserstoffinfrastruktur zu investieren und die Gründung einer Europäischen Union für grünen Wasserstoff anzustreben.
Auch in der Verkehrspolitik sollen die Weichen teilweise neu gestellt werden. So wollen die Koalitionäre den öffentlichen Nahverkehr stärken. Ab 2022 sollen dafür sogenannte milliardenschwere Regionalisierungsmittel erhöht werden. Ziel ist, die Fahrgastzahlen des öffentlichen Verkehrs deutlich zu steigern. Die Deutsche Bahn soll als Gesamtkonzern erhalten bleiben, der Konzern neu, effizienter und transparenter, organisiert werden. Zudem sollen die Investitionsmittel für die DB-Infrastruktur erhöht werden.
Das Thema „Gute Arbeit“ zieht sich wie ein Roter Faden durch das politische Leben von Olaf Scholz. Die neue Koalition will den „Mindestlohn auf 12 € anheben und sich für die Entgeltgleichheit von Frauen und Männern einsetzen“.
Die Koalition will zudem eine Kindergrundsicherung einführen. Diese hat das Ziel, dass weniger Kinder in Armut leben müssen. Sie soll aus zwei Komponenten bestehen: Einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbeitrag. Die genauere Ausgestaltung soll im Laufe der Legislaturperiode ausgearbeitet werden.
Das wichtige Thema „Wohnen“ steht jetzt auch im Bund ganz oben auf der Prioritätenliste. Ziel ist der Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Dafür wird die finanzielle Unterstützung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau inklusive sozialer Eigenheimförderung nicht nur fortgeführt, sondern die Mittel erhöht. Die Mietpreisbremse soll bis zum Jahre 2029 verlängert werden. Darüber hinaus wird der Mietenspiegel verbessert, indem zur Berechnung des Mietenspiegels die Mietverträge der letzten sieben Jahre herangezogen werden, gegenwärtig fließen nur die Verträge der letzten vier Jahre in die Berechnung ein.
Auch in der Rentenpolitik steht der Respekt vor der Lebensleistung ebenso im Fokus wie die Nachhaltigkeit. Die Regierungspartner haben vereinbart, dass die gesetzliche Rente gestärkt werden soll, es keine Rentenkürzungen und auch keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben wird. Damit wird das Renteneintrittsalter also weiterhin bei 67 Jahren liegen, das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent. Der Beitragssatz zur Rentenversicherung soll in dieser Legislaturperiode nicht über 20 Prozent steigen, gegenwärtig liegt er bei 18,6 Prozent. Der sogenannte „Nachholfaktor“ in der Rentenberechnung soll dagegen nach der Vereinbarung wieder aktiviert werden. Für eine langfristige Stabilisierung von Rentenniveau und Beitragssatz will man in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. „Diese teilweise Kapitaldeckung soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen.“
Das Problem der Rückständigkeit der Digitalisierung der Verwaltung will die Koalition nun angehen. „Es geht darum, das Leben für die Bürgerinnen und Bürger leichter zu machen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die Verwaltung in den Ländern, Städten und Gemeinden soll aus der „Nutzungsperspektive“ heraus und „bürgerorientiert“ gedacht werden. „Leistungen, die Bürgerinnen und Bürgern zustehen, sollen, wo immer möglich, automatisch ausgezahlt werden.“ Auch die Komplettversorgung ganz Deutschlands mit einem Glasfasernetz und dem neuesten Mobilfunkstandard soll umgesetzt werden.
Auch in der Bildungspolitik werden Reformen auf den Weg gebracht: So soll das BAFÖG „elternunabhängiger“ und für die Förderung der beruflichen Weiterbildung ausgebaut werden.
In der Steuerpolitik setzen die Regierungsparteien auf Korrekturen im Steuersystem. Die steuerliche Regelung des Homeoffice mit der Arbeitnehmer um bis zu 600 € entlastet werden, wird bis Ende 2022 verlängert. Außerdem steigen etliche Freibeträge. Der Sparerpauschbetrag soll laut Koalitionsvertrag von 801 € auf 1.000 € erhöht werden, der Ausbildungsfreibetrag erstmals nach 2001 von 924 € auf 1.200 € steigen. Alleinerziehende werden eine Steuergutschrift erhalten, zudem wird die Steuerfreiheit des Bonus für Pflegekräfte auf 3.000 € angehoben. Familien mit Haushaltshilfen können zukünftig leichter einen steuerfreien Arbeitgeberzuschuss erhalten.
Erwerbstätige sollen zudem schon ab 2023 die Beiträge zur Rentenversicherung in vollem Umfang als Sonderausgaben absetzen können, nicht erst ab 2025, dadurch soll eine doppelte Rentenbesteuerung vermieden werden.
Auch wollen die Regierungsparteien den jungen Menschen in Deutschland eine Stimme und demokratische Verantwortung ermöglichen. Das Wahlalter für die Wahlen zum Europäischen Parlament und zum Deutschen Bundestag soll daher auf 16 Jahre abgesenkt werden.
Eine wichtige Rolle wird in der Zukunft auf die Verteidigungspolitik der Bundesrepublik zukommen. Gerade die aktuelle Lage rund um die Ukraine, aber auch die Erfah- rungen aus dem Afghanistaneinsatz zeigen, dass die Sicherheits- und Verteidigungspolitik neu gedacht werden muss. Die Koalitionäre haben sich darauf verständigt, dass die Bundeswehr bewaffnete Drohnen erhalten soll. Autonome Waffensysteme, die vollständig automatisiert, ohne jegliche menschliche Kontrolle arbeiten, wird hingegen auch zukünftig nicht zur Ausstattung des Militärs gehören. Die Außenpolitik der Ampel-Koalition soll von westlichen Werten geleitet sein. Dabei soll die strategische Souveränität Europas erhöht werden. Ziel ist eine multilaterale Kooperation in der Welt, insbesondere in enger Verbindung denjenigen Staaten, die unsere demokratischen Werte teilen. Auch in der Einwanderungspolitik wird die neue SPD-geführte Koalition neue Schwerpunkte setzen und das Ausländerrecht weiterentwickeln. Dafür soll neben dem bestehenden Einwanderungsrecht unter anderem eine Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems eingeführt werden, um Fachkräften zur Jobsuche einen gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Zugleich sollen die Hürden bei der Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen aus dem Ausland abgesenkt, Bürokratie abgebaut und Verfahren beschleunigt werden. Das Ziel der neuen Einwanderungspolitik ist „irreguläre Migration (zu) reduzieren und reguläre ermöglichen“.
Lars Pochnicht
Beitragsbild: Olaf Scholz (Foto: Thomas Trutschel / Photothek)