Auch wenn jetzt die großen Probleme der Corona-Pandemie im Vordergrund der Aufmerksamkeit stehen, möchte ich doch einen Blick zurück in die Zeit meiner Kindheit und Jugend werfen, denn am 8. Mai 2020 jährt sich das Kriegsende zum 75. Mal.
Für uns im von Bombardierungen zerstörten Hamburg ging der verheerende Krieg am 2. Mai 1945 zu Ende.
Fünf von insgesamt 365 Röhrenbunkern in Hamburg standen in Berne. Sie wurden 1943 von italienischen Fremdarbeitern gebaut. Nachdem sich im Sommer 1943 das verbündete Italien von Deutschland gelöst hatte, wurden die zunächst als Freiwillige angeworbenen Bauarbeiter durch zwangsweise Vertragsverlängerung zu Zwangsarbeitern. (In einem doppelröhrigen Bunker in Hamburg-Hamm ist 1997 ein Bunkermuseum eingerichtet worden, das zwischenzeitlich auch als Denkmal registriert ist.)
Von den Berner Bunkern stehen drei im Berner Wald, einer neben dem Volkshaus und einer am Plattenfoort; sie sind alle nicht mehr begehbar. Die Eingänge wurden zugemauert und rundherum wurden von Anliegern weitere Erde und Gartenabfälle angehäuft, so dass sie nicht mehr sehr auffällig sind. In einem Waldbunker fand nach dem Krieg sogar längere Zeit eine Familie Obdach, weil sie anderweitig keine Wohnung fand.
„Mein“ Bunker liegt am direkt am Holzpfad, dem Eingang zum Wald beim Blakshörn. Unsere Siedlungshaushälfte lag direkt am Holzpfad, so dass wir dem Bau des Betonbunkers aufmerksam folgen konnten. Die Italiener kamen zu uns in den Garten und erhielten heimlich etwas zu Essen und zu Trinken. Meine Schwester erinnert sich daran, dass ein Italiener sie herzlich auf den Arm nahm und ihr – vermutlich aus Sehnsucht nach seinen Kindern – ein Küsschen gab.
Nachdem der Bunker fertig gestellt war, mussten wir bei Fliegeralarm diesen auch benutzen. Meistens kamen die Angriffe in der Nacht. Obwohl wir es ja nicht weit hatten, tappten wir oft in letzter Minute den kleinen Weg durch die Dunkelheit. Die Nächte waren so dunkel, wie wir Stadtmenschen uns das heute gar nicht mehr vorstellen können, weil alle Häuser und andere Lichtquellen verdunkelt wurden, um den Fliegern keine Anhaltspunkte für ihre Bombardierungen zu geben. Unsere Mutter war immer die Letzte, weil sie bis zuletzt im Radio die Meldungen hören wollte, ob die Fliegerwarnung für Hamburg zu Recht kam oder ob die Flieger vielleicht abdrehten, z.B. nach Berlin oder Kiel. In dem Fall konnten wir dann den Bunker schneller wieder verlassen. Der Blockwart, der auch in der St. Jürgenstraße wohnte, hatte dafür zu sorgen, dass alles seine Ordnung hatte und auch wirklich alle Nachbarn in den Bunker kamen. Wie sehr die Fliegerangriffe den Alltag bestimmten, kann ich den zahlreichen Briefen meiner Mutter an meinen Vater (1940/1942) entnehmen. 55 Mal – in fast jedem vierten Brief – schreibt sie ihm, ob „der Tommy“ da war, ob Fliegeralarm war oder auch nicht und ob es Schäden und Tote gegeben hat.
Da die Briefe zensiert wurden, musste man mit Kritik sehr vorsichtig sein. Die Formulierungen sind deshalb oft bitter und sarkastisch. Wer ins Kino gehen wollte, dem einzigen öffentlichen Vergnügen, musste damit rechnen, vom Alarm überrascht zu werden. Das Gleiche galt für Besuche bei Verwandten und Freunden sowie bei Einkäufen im Stadtzentrum. Dann musste man in einem fremden Bunker Schutz suchen, was nicht immer einfach war, weil diese oft schon überfüllt waren. Alle Menschen hatten unter Schlafentzug und Schlafstörungen zu leiden, besonders für Kinder war das schwer.
Über die Bombardierungen und Schäden in Berne ist in der Broschüre „Berne damals“ ausführlich berichtet worden.
Ich bin sehr dankbar, dass ich 70 Jahre in Frieden leben durfte!
Ingeborg Henker-Kelsch